Gottesdienst zum Nachlesen

JAHRESWENDE 2022/23  FRIEDENSKIRCHE STADTBERGEN

 

Predigt über die Jahreslosung für 2023 

Du bist ein Gott, der mich sieht. 1. Mose(Genesis)16,13

Liebe Gemeinde,

Von einer Zeitenwende hören wir in diesen Tagen, Wochen und Monaten immer wieder. Große Veränderungen im Weltgefüge werden erwartet, bzw. haben längst eingesetzt: Umwälzungen, die wir erahnen, aber noch nicht überschauen, geschweige denn verstehen. Demgegenüber ist die Wende von einem zum anderen Jahr etwas fast beruhigend Normales. Alle 365, bzw. 366 Tage erleben wir diesen Übergang. Der aber doch bewusst vollzogen werden soll, einfach, weil er das - ebenfalls normale - Vergehen der Zeit markiert, die wir - das womöglich eher beunruhigend - immer wieder als flüchtig erleben. Und gerade wegen dieser Normalität des Flüchtigen, brauchen wir einen Halt, damit wir von der Zeit nicht einfach fortgerissen werden, sondern auch Beständigkeit darin finden können.

„Du bist ein Gott, der mich sieht“, heißt es in der Jahreslosung für 2023 aus dem Ersten Buch Mose, bzw. Genesis, dem Anfang und dem Werden der Welt, in Kap. 16, Vers 13. „Du bist ein Gott, der mich sieht“, bzw. „der sich zeigt“, wie man es wahrscheinlich auch übersetzen kann. Mit diesem Wort soll das Beständige im Fluss der Zeit benannt werden. Oder besser  d e r  Beständige. Dann dass die von der Zeit Fortgerissenen - oder etwas milder gesagt, Mitgenommenen selbst diese Beständigkeit erzeugen können, das widerlegt die momentane Weltlage ja schlagend und völlig unzweifelhaft.

Die Beständigen sind nicht wir - sondern Er, von dem hier gesagt wird: „Du bist ein Gott, der mich sieht und sich mir zeigt.“ Gott sei Dank ist es so und Gott sei Dank zeigt er sich so, denn woran sollten wir uns denn sonst ernsthaft halten können in diesem Tohuwawohu, das wir mit dem Krieg erleben und das auch am Anfang des Buches Genesis steht: „Und die Erde war wüst und leer.“ (Gen 1,2) Sehr anschaulich, oder gewissermaßen hörbar gemacht, übersetzt dieses „wüst und leer“ dann auch der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber mit „Irrsal und Wirrsal“,  angelehnt an den hebräischen Originaltext, der ebenfalls lautmalerisch von eben jenem „Tohuwawohu“ spricht. Auch wenn wir der zunehmenden Klimaveränderung zuschauen, die unzweifehaft durch uns Menschen verursacht wird, mögen wir doch genau diese lebensbedrohende Unordnung wieder erkennen.

Aber die Schöpfung durch Gott besteht gerade darin, dass dieser Gott - der uns sieht und sich uns zeigt - das Chaos ordnet und überschaubar und verlässlich macht. Und ihm einen Zeitrahmen gibt, der uns hilft, uns darin zurechtzufinden. Diese Offenbarung Gottes in einem vollendeten Gedicht aus sieben Strophen niedergeschrieben zu haben und mit der 7-Tage-Woche eine Lebensordnung für die Menschen darin gefunden zu haben ist das bleibende Verdienst derer, die es uns überliefert haben: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde - in vielsagenden sieben Tagen, die auch wir, bis heute als wohltuenden Lebensrhythmus kennen, so wir ihn denn einhalten. Mindestens so wertvoll ist diese Seite der Erkenntnis, wie die fortgeschrittene Erkenntnis der Naturwissenschaftler über unser Universum, die uns allerdings eher schwindeln macht.

„Du bist ein Gott, der mich sieht und sich mir zeigt.“ Alle Galaxien und aller Raum und alle Zeit haben einen Grund, der uns zugewandt ist, zugesandt bleibt und sich zu erkennen gibt: Diese Perspektive ist umfassend und beständig und erkennbar erkennbar im Glauben, der dem Tun des Schöpfers vertraut. Von dieser Warte aus können wir an diesem Jahreswechsel zunächst in die Vergangenheit schauen und uns zuerst fragen: Was haben wir in der Zeit, die hinter uns liegt, insbesondere im nun fast vollständig zurückliegenden Jahr trotz allem heil überstanden, so dass wir bei allen Schwierigkeiten doch auch dankbar sein können? Immerhin leben wir, und das ist, wie wir gesehen haben, keine Selbstverständlichkeit. Die Verantwortlichen in unserem Gemeinwesen sind sich einig geworden, sich nicht einschüchtern lassen, sondern denen beizustehen, die unmittelbar und buchstäblich unter Beschuss sind. Brutale und sinnlose Gewalt darf nicht das letzte Wort haben und es muss um einen wirklich gerechten Frieden als Ziel gehen.  Hoffen wir, dass es dabei bleibt, dass dieser Friede zuletzt auch eintritt und dass die Aggressoren in die Schranken verwiesen werden können. Ähnliches gilt für eine neue Behutsamkeit mit Gottes Schöpfung in Verantwortung vor ihm. Auch da stehen wir noch sehr am Anfang, obwohl wir schon so lange wissen, was auf uns und diese Welt zukommt. Hoffen wir auf Einsicht, bei uns selbst und bei anderen, damit gerettet werden kann, was zu retten ist.

Du bist ein Gott, der mich sieht und sich mir zeigt: rettend, ermutigend, aber auch mahnend. Und das ist die Botschaft, die wir als Glaubende und Kirche wachhalten müssen: Dass Irrsal und Wirrsal von Gott schon längst in geordnete Bahnen überführt worden sind und es uns allen nur gut tun kann, wenn wir dies anerkennen, beherzigen und bewahren.

Und dabei will uns Gott zu Hilfe kommen. Notfalls auf unerwartete Weise. Wenn wir uns anschauen, in welchem Zusammenhang dies Worte der Jahreslosung stehen, dann stoßen wir auf Abraham und Sarah. Die beiden sind alt und kinderlos und dürfen auch nicht mehr erwarten, noch Nachwuchs zu bekommen. Sarah ist es, die Abraham daher bittet, mit ihrer Magd Hagar, einer Ägypterin, ein Kind zu zeugen, das dann das Erbe Abrahams antreten könnte und seinen Familienzweig erhalten. Und Abraham nimmt den Rat Sarah’s an. Daraufhin spricht Sarah: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“ … „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der HERR“ (Jes 55,8), wird der Prophet Jesaja es uns später überliefern und genauso ist es hier. Wir merken, wie wenig Gottes Wege unsere Wege sind und genauso unsere Gedanken offensichtlich nicht Gottes Gedanken. Noch später wird Jesus uns klarmachen, dass eines Menschen Leben und seine Bedürfnisse, bei Gott  - noch - höher im Kurs stehen, als alle seine Gebote. (Mk 2,23-28) Das macht uns frei, zu tun, was nötig ist, mit den Mitteln, die wir haben. Auch Fehler zu machen und auf Holzwege zu geraten, umzukehren und es erneut zu versuchen, begleitet von dem Rat Martin Luthers, notfalls tapfer zu sündigen, wenn es im Sinne der Sache einfach nicht anders gehen will. Lasst uns daher besonnen, aber auch nicht zaghaft in dieses neue Jahr 2023 gehen, das ungewisser scheint, als die meisten Jahre, die wir neu begonnen haben.

An manchen Stellen unserer Gemeindearbeit im Verbund mit StThomas haben wir ja schon Tabus über Bord geworfen. es gibt nun wohl endgültig keinen Kindergottesdienst mehr parallel zum Hauptgottesdienst. Statt dessen entstehen immer wieder neue Formen, in denen Kinder in Kontakt mit unseren Kirchen und mit den Menschen kommen, die sich um ein Angebot für sie bemühen. Da fährt man von Kirche zu Kirche und erfährt an jeder etwas Neues, lernt Kirche kennen. Da gibt’s, anstatt Schule am Vormittag des Buß- und Bettags eine Veranstaltung in unserer Friedenskirche, die sehr gut angenommen worden ist und manches mehr.

Apropos Hauptgottesdienst: Es ist eine unübersehbare Tatsache, dass unsere Sonntagsgottesdienste eine deutlich verringerte Teilnahme erfahren und auch die abebbende Corona-Plage nichts daran ändert, hier, wie anderswo. Aber vielleicht brauchen wir ja einfach auch hier neue Formen - die’s ja teilweise schon gibt und mit dem Frühstücksgottesdienst bald wieder anlaufen sollen. Vielleicht werden wir uns ganz neu und ganz persönlich auf die Socken machen müssen, dass wieder mehr Menschen sich hier zuhause fühlen und gern mal wiederkommen. Eines ist klar: Es braucht jetzt eher weniger, als mehr Denkverbote. Der unkonventionelle Weg Sarahs, von dem wir heute gehört haben, Jesajas Hinweis auf den Gott, der uns in seinem Denken und auf seinen Wegen weit voraus ist und Jesu unorthodoxer Weg, mit Menschen umzugehen, sollten uns Wegweiser in die Zukunft unserer Gemeinden sein. Und bei allem dürfen wir uns auf die Zusage verlassen, die auch uns das Wort der Jahreslosung entgegenruft: „Du bist ein Gott der mich sieht.“ Das steht schon mal fest, komme, was da wolle. 

Amen.